Skulpturenwege Rosenheim, Ebersberg, 2010

 

IMMER – ENDLICH - WEITER – WASSER LASSEN - DA – SEIN – ÜBERALL – ZUHAUSE.

Die Textfragmente von Martin Fritzsche im Mühlbachbogengelände erscheinen wie einzelne, aus jedem Zusammenhang gerissen Worte. Doch gelingt es Fritzsche mit diesen aus Kunststoff bzw. Metall gefertigten stereotypen Schriften an diesem spezifischen Ort einen neuen Raum zu erschaffen. Dieser soziale Raum ist aufgeladen mit symbolhaften Verweisen auf Qualitäten, die an diesem Ort lange verborgen waren. Wasser lassen beispielsweise verweist auf den nun für die Landesgartenschau wieder an die Oberfläche geholten Mühlbach. Noch weiter verweist Fritzsche hier auch auf die Bedeutung, dass wir der Natur ihren Raum einräumen sollten, der Leben und Gedeihen ermöglicht. Überall und zuhause ergeben in ihrer Platzierung auf einem verwahrlosten Wohnkomplex vielfältige Assoziationen. Zuhause kann tatsächlich überall sein, da es sich nicht zwingend an schönem Wohnraum orientieren muss, sondern zum Beispiel an den Ort der Familie oder der Freunde. Insbesondere Orte aus der Zeitschrift AD wirken allzu oft als Horte des schönen Scheins und weniger als Stätten des Glücks. Gleichwohl mag überall aber auch der Hinweis sein, dass sich vergleichbares nicht nur hier in Rosenheim und schon gleich gar nicht nur in Rosenheim findet. Da sein scheint der Aufruf zum verweilen. Verweilen an einem Ort, dessen Schönheit sich nicht mit dem Hübschen und Gefälligen verbinden lässt.

 

Zentraler Ausgangspunkt für die Arbeiten von Martin Fritzsche im öffentlichen Raum waren schon immer Restflächen, Nebenschauplätze: so genannte Un-Orte. Diese Un-Orte finden sich in jedem urbanen Gefüge. Die Qualität derselben als offene, neu zu definierende Räume wird allerdings bestenfalls von Randgruppen verstanden und besetzt. Dieses Phänomen trat in das Bewusstsein der Bevölkerung zum Beispiel in den Nachkriegsjahren als Kinder und Jugendliche Brachen und Ruinen als Spielflächen genutzt haben, in Städten mit Slumsiedlungen, die der Bevölkerung Lebens- und Gestaltungsraum sind und in denen ebenso Identität gestiftet wird wie in gewöhnlichen Stadtvierteln. Im ästhetischen wie sozialen Sinne waren in der Folge Graffiti in den 70er Jahren bis heute Formen der Markierung im öffentlichen Raum, die Hinweis und Symbol einer neuen Jugendbewegung waren.

 

Seine Texte sind nicht alleine Hinweise auf ästhetische Qualitäten von Brachƒlächen, Betonwände, Unterführungen, Brücken etc. Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes poetische Verweise auf Zusammenhänge ohne dass sie Festlegungen auf bestimmte Inhalte sind. In der Zusammenfügung von Text und Raum schafft er Freiräume den gegebenen Ort in seiner Komplexität an Material, Geografie, Farbe, Form, Volumen und nicht zuletzt als Bewegungsmuster zu entdecken und anzuerkennen.

 

Die Qualität sozialer Räume ruft Fritzsche mit seinen Textfragmenten hervor, da er den Betrachter in die Auseinandersetzung mit dem Ort zwingt. Sie bieten Anhaltspunkte der Bedeutungstransformation, öffnen neue Blickachsen und Raumbezüge. Die Verdichtung von städtischem Raum findet hier nicht durch Bebauung sondern durch komplexe Sinnbezüge statt.

 

Fritzsches Geheimnis liegt in klassischen künstlerischen Techniken wie wir sie aus der Malerei kennen: dem Hinzufügen oder Auftragen, dem Wegnehmen, dem Zerstören, dem Zusammenfügen. Seine Mittel sind nicht Farbe und Pinsel/Spachtel, sondern Buchstaben und Orte. Buchstaben in spezifischen Anordnungen und Abfolgen, deren Ergebnis poetische Reflexionen sind. Mit diesen Techniken gelingt es ihm nicht alleine ästhetische Erfahrungswelten zu schaffen, sondern Bezugssysteme zwischen Bild, Text, Vorstellung und Ort zu definieren. Dieses relationale Gefüge etabliert einen sozialen Raum als Erfahrungslandschaft und Sinnstiftung.

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